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Andreas Schulten: Herr der Zahlen

Er wird oft “Der Herr der Zahlen” genannt: Andreas Schulten ist für seine Analysen des deutschen und europäischen Immobilienmarktes bekannt und ein geschätzter Immobilienexperte. Anfang 2024 kündigte er seinen Ausstieg bei der bulwiengesa AG an. Dem Haus und der Branche bleibt er aber weiterhin eng verbunden. Im Interview gibt Andreas Schulten Einblick in seine neuen Pläne.

Über 36 Jahre war Andreas Schulten für das unabhängige Analyseunternehmen bulwiengesa tätig. Als Generalbevollmächtigter verantwortete er Markenführung, Netzwerke und Beratungsqualität und hat den Wachstumsprozess der Marke bulwiengesa maßgeblich mitgestaltet. Er  setzte sich dafür ein, dass neben Berlin, München, Hamburg und Frankfurt 2020 eine Niederlassung in Essen eröffnet wurde. Mit dem Aufbau des Büros mitten im Ruhrgebiet unterstrich bulwiengesa die besondere Bedeutung des Immobilienmarktes in NRW und der Metropole Ruhr.

  • Was treibt Sie an?

  • Wie sind Sie (räumlich) aufgewachsen? Was hat Sie geprägt?

  • Welche Städte faszinieren Sie? Und warum?

Andreas Schulten: Optimismus. Und der Glaube an Gerechtigkeit.

Andreas Schulten: Da muss ich angesichts der raffinierten Frage grinsen. Es ist ja bekannt, dass ich ein Kind des Ruhrgebietes aus den 60er-Jahren bin. Mit Kaufhäusern an allen Ecken, den ersten Ganztags-Schulen aus Waschbeton. Mülheim, Dinslaken und Hamborn - meine Stationen - waren sich da alle ähnlich: Mit Büdchen, Autobahnprojekten und langen Fabrikmauern, die schon bröckelten. Wenn wir im Dunkeln mit dem Auto aus der Duisburger City nach Hamborn fuhren, habe ich immer darauf gewartet, ob ich von Weitem einen dieser dramatischen Hochofen-Abstiche sehen kann. Es war ein wenig wie ein nächtlicher Vulkanausbruch. Dort ist jetzt wohl der Landschaftspark.

Aber geprägt hat mich - beruflich - dann doch die Ruhr-Universität Bochum. Dort klappern heute die Trittplatten aus Beton wie bei einem Vulkanausbruch. Sorry für diese platte Analogie. Die anhaltende Beobachtung von (Struktur-) Wandel reizt mich wirklich sehr. In allen deutschen - und europäischen - Städten.

Andreas Schulten: Faszinierend ist natürlich immer Erfolg und Größe. Was das betrifft, war Berlin weltweit gesehen ganz außergewöhnlich in den letzten 20 Jahren. Zu Beginn gab es eine Arbeitslosenquote von knapp 20 Prozent in den schlimmen Diepgen- und Landowsky-Jahren um 2001. Das Bundesland klagte 35 Milliarden Euro beim Bund ein, um seine Schuldenprobleme nach dem Zusammenbruch der Bankgesellschaft Berlin lösen zu können…

Danach kam dann zeitgleich mit politischen Reformen - national etwa auch die Agenda 2010 - die „Generation Easy Jet“ und darauf aufbauend die explosionsartige Internationalisierung von Berlin mit ihrer hohen Sogkraft bei allem, wo IT und Digitalisierung eine Rolle spielten. Alles begleitet von einem komplett auf links gedrehten Immobilienmarkt. Oder besser auf „rechts gedreht“. Denn die Profiteure waren ja eben nicht sozial bedürftige Haushalte, sondern private Investmentgesellschaften. Allein ein Investor wie Amir Dayan dürfte in den sogenannten besten Jahren Gewinne in Milliardenhöhe eingefahren haben. Aber auch die redlich stabilen und kleineren Großstädte sind ja einen näheren Blick wert! Nur - wer kann da schon wirklich beurteilen, was gute und was schlechte Politikfolgen sind? Ich bin bekannterweise erklärter Fan von Hannover. Gern würde ich die Disziplin und die Kraft der abgestimmten runden Tische dort noch weiter in Duisburg, Essen, Bochum und Dortmund übertragen sehen. Aber - vielleicht hat dieser ewige Wettbewerb der „am dichtesten aufeinander folgenden ICE-Haltepunkte in Deutschland“ ja auch sein Gutes. Wir werden es sehen.

Wertschätzung für Standorte und Gebäude

  • Was verbirgt sich hinter der Firmierung „Stadtwerte“?

  • Wie schätzen Sie die Entwicklung der Immobilienbranche insgesamt ein? Worauf müssen wir uns einstellen?

  • Sie waren für bulwiengesa im Ruhrgebiet. Was mögen Sie an der Region? Und warum sind Sie jetzt in Berlin?

  • Was sind Ihre Pläne für den neuen Lebensabschnitt?

Andreas Schulten: Meine „Firma“? Auch da muss ich wieder grinsen. Bei irgendeiner Veranstaltung zu Jahresbeginn musste ich zwingend einen Firmennamen haben und durfte nicht nur mit meinem Vor- und Nachnamen auf die Bühne. Da habe ich diesen Namen gewählt. Dahinter schwingt aber tatsächlich meine Botschaft, dass Immobilienpreise und -erträge eben sehr genau anzeigen, welchen Wert Standorte und Gebäude für Bewohner und Wirtschaftsunternehmen in ihrem Tun haben. Da sollten Stadtpolitiker und -planer viel genauer drauf schauen! Wenn ich Zeit habe, aktualisiere ich einmal wieder die Stadtwerte auch der Ruhrgebietsstädte. In all ihren Facetten: Je Einwohner, in ihrer relativen Veränderung der letzten zehn Jahre, in ihrer Gewichtung aus Wohn- und Gewerbeimmobilien etc.

Andreas Schulten: Große Frage... Die Frage zielt bewusst auf die Branche und nicht auf den Markt? Die Themen Gebäudebestand, Gemeinwohl - also weniger privater Gewinn und der hohe monetäre Wert von Gebäuden und mit Infrastruktur gut erschlossenen Grundstücken werden uns sicherlich auf Jahrzehnte stark beschäftigen. Ich glaube schon, dass ein gewisser Grad an Suffizienz, sprich bescheidenerer Ressourcennutzung, die Gesellschaft und Politik fordern wird. Und für die praktische Umsetzung werden ja Immobilienunternehmen zuständig sein. Also viele Aufgaben, interessante Jobs und einiges an neuer Positionierung, denke ich.

Andreas Schulten: Ich mag den lakonischen Pragmatismus und das Augenmaß im Ruhrgebiet. Berlin ist da leider unbegründet überheblicher - aber mein Hauptwohnsitz war und wird halt auch weiter dort sein. Das ist schon auch nicht sooo schlecht.

 

 

Andreas Schulten: Möglichst vielen guten Projekten Rückenwind geben und dazwischen auch mal ein Nachmittags-Nickerchen machen können.

Zur Person

Andreas Schulten, geboren 1961, ist ein Ruhrgebietskind. Er studierte Geografie in Bochum und München. An der Isar heuerte Schulten 1988 bei der bulwiengesa AG an - und blieb dem Analyseunternehmen über 36 Jahre treu.  2024 verabschiedete sich Schulten von dem Unternehmen, um Zeit für neue Aufgaben und Interessen zu haben. Ein besonderes Herzensprojekt: Sein Einsatz für den Verein Freunde der Schinkelschen Bauakademie, dessen Vorstandsvorsitzender er ist.